MICHAEL SCHEBESTA: BUSINESS CHARTS

BILDER VON SIEGEN UND NIEDERLAGEN.

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Als Visualisierungen von meist zu Vergleichendem drängen Business-Charts auf Bewertungen der Verhältnisse: des Höheren, Größeren, Erfolgreicheren, und des jeweilig Unterlegenen, des Mangels und Missstandes. Sie zeigen Gewinner und Verlierer, Ziele und Verfehlungen, Territorien und Stellungen. Sie ordnen Hierarchien und soziale Gefüge. Programmatisch um binäre Eindeutigkeit bemüht, um reduzierte, anschauliche Plakativität, proklamieren sie Maxime und degradieren die Relativierung zur Störung: „Top“ ist, was oben ist, und „unten“, was unten.

Hierfür nutzen sie eine eigene, ernüchternde Ästhetik, die Balken, Torten, Linien und Säulen, in denen die so quantisierte Welt ihre Repräsentanzen findet. Angeblich rund 30 Millionen Powerpoint®-Präsentationen sollen täglich weltweit allein in der Geschäftswelt entstehen, befüllt mit wiederum Abermillionen Diagrammen. Als zwitterhafte, erhofft einerseits abstrahierende und andererseits involvierende Verständniswerkzeuge bedienen sie sich meist einer technischen, „gestaltungslosen“ Formensprache, auch als Schutz vor allzu Persönlichem, als Schild vor der Betroffenheit von abgebildeten Tragödien. Sie wahrt den Schein von Neutralität, die Ratio des Denkens, das Kalkül des Handelns.

Doch gezeigt wird Wettkampf, Sieg und Niederlage, Start und Ziel. Gezeigt wird Überleben und Sterben, archaisches Auf und Ab in den modernen Schlachten des Wettbewerbs.

SIZE MATTERS

Mit der künstlerischen Thematisierung der in der Geschäftswelt zentralen Dimensionen Sieg und Verlust sowie der Transformation der dort eher rein funktional betrachteten Formensprache in die Welt der Kunst entstehen neue Projektions- und Identifikationsangebote insbesondere für exakt diejenigen, die aufgrund ihrer gestaltenden Teilnahme und steuernden Bedeutung im Wirtschaftsleben oder aufgrund des Gegenteils starke emotionale Verbindungen mit den sie nun auf ästhetisierter Ebene spiegelnden Erfolgsdarstellungen besitzen.

Harmonie von Werk und Methode: Die Rolle des Computers

Business-Charts sind eines der wenigen Motive in der Kunst, die berechtigt am Computer hergestellt werden können. Nicht nur weil sie bereits historisch und programmatisch ein Recht dafür hätten, sondern weil sie sich auf mathematischem Material gründen, nicht auf inspirativem (wenngleich das Zustandekommen eines Zahlenwertes durchaus auf Inspiration beruhen kann).
Auch die qua Formensprache für jedermann offensichtliche und praxistauglich weitgehend alternativlose Methode, computergeneriert aus abstrakten Zahlenwerten geometrische Formen herzustellen, wahrt die in der Kunst beliebte Authentizität des Ergebnisses – im Gegensatz z. B. zur computergestützten Bearbeitung von Fotos, die meist ihre Eingriffe vor dem Betrachter zu verbergen sucht. Nein, medial herstellungstechnisch täuschen Charts nicht – allenfalls in ihrer Wirkung.

Die Formensprache: Warum sich Balken biegen

Ein Business-Chart dient nur als Instrument, nicht als Bild an sich. Nur die Aussage, der Content scheint bedeutend, doch dies trügt: Charts sind – mehr noch als die vergleichbar Realitätsnähe suchende Dokumentarfotografie – drastische Verkürzungen der Welt. Ihre formale Enge macht sie geradezu zu Ikonen der Vereinfachung und damit nicht selten zu Werkzeugen beabsichtigter Manipulationen. Balken werden gebogen, gestreckt und gestaucht, coloriert und kombiniert – ganz im Sinne eines kommunikativen Zieles: den Betrachter überzeugen.

Damit wird die Form zum zentralen Beschäftigungsgegenstand, deren Nivellierung und Justierung zum strategischen Aspekt der Überzeugungsleistung. Bereits die Balkenfarbe kann entscheiden, ob er, der Balken, das von ihm Repräsentierte, Zustimmung findet oder nicht. Das Bezugssystem, die Koordinaten und Vergleichswerte, entscheiden, ob er, der Balken, positiv oder negativ zu werten ist. Auch das Format, ob hoch oder quer, ist Interpretation, die Wert auf Bewertung legt. Auf Tendenz und Befolgung des Beabsichtigten: hoch auf Größe und Bedeutung, auf Impulsivität und Kraft, quer auf Konsistenz, Beständigkeit und Langfristigkeit, auf Durchdringung und Omnipotenz. Charts sind ganz und gar Auftragsgestaltung, Gebrauchsgrafik im klassischsten Sinne.

Und doch: Die Balken haben sich trotz diesen Potenzials und trotz hochentwickelter Computergrafik über Jahrzehnte kaum verändert. Ihre kurze Gültigkeit mag den Verzicht auf formbewusstere Gestaltung entschuldigen, ebenso die zunehmende Rotation neuer Datenlagen und der Zwang zur weiteren Vereinfachung in der Darstellung. Man braucht das ermüdende Argument des Digitalzeitalters hier gar nicht ergänzend zu bemühen – auch so schwindet die Bedeutung des Einzelwertes. Er bildet allenfalls einen von vielen Stützpunkten einer Hüllkurve, die etwas Ganzes meint und beschreibt, einem Chor ähnlich, dessen Mitglieder eine Klanggemeinschaft formen und gleichsam in ihr aufgehen. Wer dort nicht harmoniert, fliegt raus – Balken dienen oft als Statisten eines Schauspiels mit längst geschriebenen Rollen.

Format: Das "neutrale" Quadrat

So scheinen die Positionen und Proportionen in zahlenbasierten Diagrammen zwar per se gegeben, doch jede Transformation einer Zahl in eine sie repräsentierende Geometrie beinhaltet auch Verluste: Ein Querformat schwächelt bei hohen Säulen, ein Hochformat bei breiten. Format, Farbgebung, Balkenstärke, Diagrammtyp, Raumaufteilung ... all dies sind Interpretationen, die bei gleicher Datenquelle zu den unterschiedlichsten, sogar diametralen Ergebnissen führen können.
Darum nutzt Michael Schebesta als Bildformat häufig das „neutrale“ Quadrat, das keine der beiden Bildachsen bevorzugt. Dennoch interpretiert auch dies, so z. B. in „Think positive“, bei dem die obere Bildhälfte des Quadrats „leer“ bleibt und damit erst den Sog auf die untere Grafik ausübt. Auch meidet er jeden Skeuomorphismus inklusive 3D-Umsetzungen.

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Die zunehmende Sehnsucht
des Erfolgs nach Ruhe, 2014

Säulendiagramm
MDF, C-Print
280 x 220 x 280 cm

 

 

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